#Osternwirdjöö – Ist das Propaganda? – 7 Zutaten für eine würdevolle PR-Sprache

Ostern wird jöö. Mit dieser Botschaft schrammt meines Erachtens ein Detailhändler eine klitzeschmale Grenze zu unserer Selbstbestimmung.

Gestern habe ich routinemässig meinen Familien-Wocheneinkauf in unserer Quartier-Migros erledigt. Ich schätze die grosse Auswahl der Artikel, die frischen Früchte und Gemüse, die angenehme Atmosphäre, beflügelt durch die freundlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Ab und zu hat auch noch ein Schwatz Zeit. Fast wie auf einem Marktplatz. 

Etwas passt allerdings gar nicht zu diesem Marktplatz und finde ich bedenklich, liebe Migros. Eigentlich ziemlich bedenklich, so dass ich mich entschlossen habe, einen Blog zu schreiben.

Seit einigen Wochen, nachdem die Schokolade-Hasen eingezogen sind, verkünden himmelblau-grasgrüne Plakate Ostern. Das ist nichts Besonderes. Speziell daran ist, dass Migros verspricht, dass Ostern dieses Jahr «Jöö» wird  (für Nicht-Schweizer: «Jöö» ist ungefähr mit «süss» oder «entzückend» gleichzusetzen). Drei Tierchen buhlen um unser zustimmendes Herz: Ein hellblaues Häsli, ein gelbes Bibeli und ein rosa Lämmli. Wer fleissig Sticker gesammelt hat, darf diese Plüschbabies nach Hause nehmen.   

Süsse Plüschtierchen sollen das Herz der Konsumenten ansprechen

Nicht nur für Kinder

Ostern wird auch «jöö» dank bunten Deko-Eiern, Feder beschmückten Osternestern, Stickern und weiteren Zutaten für das perfekte Osterfest. Ein bisschen stretcht Migros den Begriff, wenn sie darunter auch Rezepte für den Osterschmaus anbietet. Osterfladen = Jöö? Na ja. 

Ostern wird also jöö. Und nicht nur das. Nicht nur für Kinder, wie man auf Anhieb meinen könnte. Es wird gemäss Migros auch «fein, gemütlich, freudenreich und einfach nur schön!» Lidl sieht das ein bisschen anders. Ostern wird «ausgelassen, überraschend und mit Lidl unvergesslich.» Hauptkonkurrent Coop dagegen wünscht simpel und genügsam «frohe Ostern». Und schlägt einen «leckeren Brunch und ein gemütliches Essen mit den Lieben» vor. Das finde ich um Welten sympathischer – und respektvoller, weil es uns überlassen wird, wie wir Ostern definieren. Wie bewusst Coop diese Strategie der Selbstbestimmung allerdings fährt, ist mir nicht bekannt. 

Ostern ist Kommerz. Weihnachten ist Kommerz. Das ist so, seit die Werbung erfunden wurde.

Und ich mag die Osterzeit wirklich auch wegen der herrlichen Farben, der bunten Eier, der gefüllten Osternester. Ich behänge gerne Frühlingsäste mit farbigen Eiern. Und die drei Plüschtierchen mit den Kulleraugen finde ich tatsächlich ein bisschen jöö. Aber Ostern, mmh…. Ostern ist für mich nicht jöö. 

Katzenvideos haben ähnliche Wirkung 

Wir können das gelassen hinnehmen und die Schulter zucken. Ist eben so, da müssen wir uns daran gewöhnen wie an die Schoggihasen-Inflation kurz nach Weihnachten. Wir können uns aufregen und die Migros meiden. Als Menschen mit einer christlichen Kultur, für die Ostern mit einer anderen, grossen Botschaft verknüpft ist, kann uns das sogar empfindlich treffen. Das meint auch die Bloggerin auf diesem Blog-Beitrag. 

Wie reagiert die digitale Migros-Community? Auf Twitter finden Sie unter dem gleichnamigen Hashtag einige lauwarme vereinzelte Posts. Auf YouTube dagegen wurde das Video bis zu einer Million mal angeklickt. Katzenvideos erzielen auf diesem Kanal die gleiche Wirkung. 

Analysieren wir das Ganze mal gelassen aus PR- und Marketing-Sicht. Das Ziel ist, den Umsatz anzukurbeln. Die Methode: Eine emotionale Botschaft, eine Story die aufmerksam macht, die unser Herz berühren soll. Mittel dazu sind die Sammeltierchen. Sammelaktionen funktionieren seit einigen Jahren mit schöner Regelmässigkeit vor allem bei Kindern prächtig (und bringen Eltern zur Verzweiflung). Das ist der ganze Spuk und damit eine klassische Marketingkampagne, mit der sich Migros auch von ihrem Hauptkonkurrent Coop differenziert.

Und nun die Schlüsselfrage: Berücksichtigt die Marketingkampagne auch ein relevantes Thema in unserem Alltag? 

Kritisch können wir als Konsumentin, als Konsument jetzt fragen: Ist es ein Bedürfnis von uns zu wissen, wie Ostern wird?

Wenn wir etwas zu Ostern wissen wollen, dann, wie das Wetter wird. Und ob es sich lohnt, den obligaten Ober-Stau am Gotthard in Kauf zu nehmen. So gesehen ist die «Antwort» von Migros, wie Ostern wird, überhaupt nicht relevant für unseren Alltag. Es ist kein Bedürfnis von uns. Typisch Werbung also, die uns wieder mal etwas einfiltriert. 

Das Geschäftsmodell von Migros ist es, wo auch immer möglich an unserem Alltag teilzunehmen. Mit der Botschaft «Ostern wird jöö.» allerdings überschreitet sie aus meiner Sicht eine klitzeschmale, aber bedeutende Grenze in unsere Privatsphäre. Mit ihrer Macht, die sie zweifellos hat, beeinflusst sie unser Denken und einen grossen Teil unserer Gesellschaft. Bald wird sie uns sagen, wie Weihnachten zu sein hat. Möchten wir das? Können wir das nicht selber entscheiden, wie Ostern für uns wird? Brauchen wir das? Dass ein Konzern so bestimmend in unserem Denken und Konsumverhalten wird?  

Wahrheit spielt keine Rolle

Propaganda zeichnet sich durch Einweg-Kommunikation aus. Das heisst, die Sender wollen nur wissen, dass die Botschaft angekommen ist. Die Reaktionen der Empfänger sind piepegal. Das hat die Propaganda mit dem puren Verbreiten von Informationen und Fakten gemeinsam. Der Unterschied liegt bei der Wahrheit. Die spielt bei der Propaganda keine Rolle.

Wenn sie gar laut, aufdringlich und gezielt für den Aufbau von Feindbildern eingesetzt wird, können ganze Völker von der Notwendigkeit eines Kriegs überzeugt werden. Ohne dass ich politisch werden will, müssen wir auch vermuten, dass das Bild, das uns in der westlichen Welt vom «bösen» Nordkorea gezeichnet wird, nicht nur der Wahrheit entspricht. 

Ein wichtiges Mittel zur Verbreitung von Propaganda dienen denn auch gewisse Medien. Dazu gehören auch die sozialen Medien. Wir sprechen von «einseitiger Berichterstattung», im schlimmeren Fall von Fake-News oder Lügenpresse. Die Webseite  https://propagandaschau.wordpress.com/was-ist-propaganda/ befasst sich als Watchblog für Desinformation und Propaganda in den deutschen Medien. Denn Propaganda muss nicht immer laut sein – aber typisch ist ihr durchdringender Kampagnen-Charakter. Auch Kampagnen können mitunter verdeckt und auf leisen Sohlen daher kommen. 

„Propaganda ist der Versuch der gezielten Beeinflussung des
Denkens, Handelns und Fühlens von Menschen.

Wer Propaganda betreibt, verfolgt damit immer ein bestimmtes Interesse.»

Watchblog für Propaganda


Propaganda hat für uns vor allem einen politischen und stark negativen Beigeschmack. Sie wird aber auch in der Wirtschaft angewendet. Die Schätzung einer Berufsfeldstudie, dass im Jahr 2000 rund 15 % aller Organisationen Propaganda als PR-Methode eingesetzt haben, kann ich gut nachvollziehen. Ich behaupte, dass sich dieser Anteil inzwischen nicht verkleinert hat, weil der Markt einfach so hart, die Konkurrenz so gross ist und gewisse Unternehmen über grosszügige Marketingmittel verfügen. 

Mit Propaganda sind wir deshalb sicher nach wie vor auf irgendeiner Weise jeden Tag irgendwo tangiert. Letztlich bin ich in einem aktuellen (!) Fachbeitrag zur Unternehmenskommunikation auf einen Satz gestossen, der mir diese Behauptung mit einem unguten Gefühl bestätigte.  

Ich las von «Empfängern» und von  «pflegeleichten Zielgruppen», die «kommunikativ abgeholt», denen «Themen kommunikativ vermittelt werden» und an denen Unternehmen ihre «Kommunikationsinstrumente» ausprobieren.

Das geht für mich in Richtung Manipulation. Dazu passt auch die vermeintliche Wahrnehmung von PR-Fachleuten, alle Kanäle und Ressourcen und die Menschen «im Griff» zu haben. 

Der grosse Unterschied liegt im Menschenbild

Wie zeichnet sich dagegen eine würdevolle und gleichzeitig wirksame PR aus, die für sich ja ebenfalls in Anspruch nimmt, die Stakeholder zu überzeugen und zum Handeln zu verleiten? Der grosse Unterschied liegt im Menschenbild. Diese exzellente PR sieht ihre deine Kunden als Menschen, die auf gleicher Augenhöhe sind, die ernst genommen und zuweilen auch mitreden möchten. Damit sind wir gleichzeitig auf dem besten Weg zur Story-Sprache.

Hier sind sieben Zutaten für eine exzellente PR

1. Wertschätzung: Du gibst den Menschen zu spüren, dass sie von dir wertgeschätzt werden. Sie sind nicht manipulierbare Automaten, nicht passive Empfänger, sondern Menschen mit Verstand, Herz und Seele. 

2. Bedürfnisorientierung: Du kommunizierst, wie du hilfst, echte Probleme im Alltag der Menschen zu lösen. Das ist Relevanz. Du orientierst dich damit in erster Linie an den Bedürfnissen der Menschen, nicht an den Umsatzzielen der Firma. 

3. Werteorientierung: Du richtest dein Tun, deine Botschaften nach den inneren Antreibern der Menschen, nach ihren Gefühlen und Sehnsüchten aus. Teile deine Werte mit ihnen. Tue Gutes, sprich darüber und zeige es. Unter Umständen kennst du sogar deinen Brennwert, deinen Lebenssinn, dein «Warum du tust, was du tust». Damit leistest du einen gesellschaftlich hochwertigen Beitrag und schaffst es, dich im harten Markt klar zu differenzieren. Symbolisch gesehen entspricht der Brennwert der Spitze der Lebenspyramide. 

4. Dialog und Beziehung: Damit du die Bedürfnisse und Werte-Entwicklungen kennst, bist du offen für den Dialog und die Inputs deiner Kunden. Damit werden sie nicht zu reinen Empfängern degradiert, sondern sie dürfen mitwirken. Du betreibst damit die Königsdisziplin der PR. Gleichzeitig kannst du damit deine Marke für deine Zielgruppe massschneidern und arbeitest proaktiv an deiner Reputation. Das wird dir enorm viel bringen, bedingt aber eine offene Haltung und einen langen Atem. 

5. Vorleistung: Du dienst mit Mehrwert, ohne dass deine potentiellen Kunden dafür dein Produkt oder deine Dienstleistung in Anspruch nehmen müssen. Zum Beispiel, indem du ihnen nutzvolles Wissen vermittelst, oder indem du sie in deinem Themengebiet mit wertvollen News auf dem Laufenden hältst. Damit investierst du in Kundenbindung und gleichzeitig in deine Marke. 

6. Glaubwürdigkeit. Vertrauenswürdigkeit. Authentizität. Integrität: Setz alles, was du kannst, auf diese Werte. Wir erleben leider gerade eine Verrohung und Erosion von gesellschaftlichen Normen. Wir beobachten Populismus, Vertrauensabnahme in Institutionen und Vertrauensbrüche durch grosse Unternehmen. In diesem rauen Umfeld steckt gerade für kleine Firmen und ihren starken Gründerpersönlichkeiten eine grosse Chance. 

7. Spass & Freude: Das ist die letzte Zutat, das Sahnehäubchen. Hast du einmal deine inneren Antreiber gefunden, findest du nicht nur zu Ruhe und Gelassenheit, sondern auch zu Freude bei deiner Arbeit. Das wird sich automatisch auch in deiner Kommunikation auswirken – und in deinem Erfolg. 

Das waren die sieben Zutaten für eine exzellente PR. Jede einzelne deckt in sich ein grosses Thema ab.

Erkennen, wo die Schreckgespenster herumgeistern

Mit diesem Blog war es mir ein Anliegen, gute PR von Propaganda und Manipulation sauber abgrenzen zu können. Damit wir erkennen, wo die Schreckgespenster unserer «freien», selbst bestimmten Gesellschaft herumgeistern.

Aber: Was wir mit uns machen lassen, liegt auch ein bisschen bei uns selber: Ob wir die Augen offen halten oder uns in den Schmusekurs von Markenversprechen begeben wollen. Ob wir uns von Meinungen verleiten lassen oder selber denken. Ob wir erkennen, dass ein Produkt-Versprechen wirklich ernst gemeint ist, mit einer gleichwertigen inneren Haltung des Anbieters oder der Anbieterin. 

Was ich mit diesem Blog NICHT beabsichtige, ist der Migros mit ihrer «Ostern wird jöö»-Botschaft Propaganda zu unterstellen. Ich meine lediglich, dass sie sich der Grenze zu unserer Selbstbestimmung und Würde bewusst sein sollte. Nicht mehr und nicht weniger.

Selbstbestimmung und Mitwirkung: Das sind nämlich zwei hohe Warum-Werte, die Migros seit kurzem mit ihrer Dachmarkenkampagne kommuniziert. Nachzulesen im Blog «Werte sind menschlich – und deshalb ein Top-Thema.  

Wie kommt die Botschaft «Ostern wird jöö.» bei Ihnen an? Auf den ersten und den zweiten Eindruck? Ich bin gespannt auf Ihren Kommentar. 

Ich wünsche Ihnen frohe Ostern und dann bald einen schönen Sommer. Das geht nicht mehr lange. Zum Glück für die Kommerzwelt. Wenn ich wieder meinen schweren Einkaufswagen zwischen den Gestellen herumschiebe, wird man mir dann vielleicht sagen wollen, «wie Sommer geht». Wetten? 

Ingrid Schmid

14. März 2018

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